Das genügt
Von Thomas Hirsch-Hüffell
Martina erzählt mir öfter von ihrem Leben mit den beiden kleinen Kindern. Seit sie allein mit ihnen lebt, muss sie viel schaffen, was eigentlich gar nicht geht: Geld verdienen als Sozialarbeiterin, rechtzeitig zu Hause sein, die Wohnung sauber halten, sich mit dem Exmann über Besuchsregelungen zanken, den Unterhalt
einklagen, trösten, wenn die Kleinen müde sind, Essen machen und so weiter . . .
Sie hat dann manchmal Angst, dass sie hart wird. Sie vermeidet es zu klagen, wie sie das bei vielen anderen Alleinerziehenden erlebt. „Du sagst mir, wenn ich verbittert werde, okay?“ – so ihre Bitte zur Wachsamkeit an die besten Freunde. Und vor allem fürchtet sie, dass ihr die Kleinen verwahrlosen. Sie will es gut machen. Wenn sie könnte, würde sie ihnen auch noch den Mann ersetzen.
Dabei sind die Kleinen ganz munter, kuscheln mit Mama und gehen auch gern zum Vater. Aber sie kommt nicht runter von dem schlechten Gewissen, dass sie daran schuld ist, wenn den Kindern im Leben die heimische Symmetrie fehlt und sie Schaden nehmen. Ich weiß aber, sie hat ihr Bestes gegeben. Und als sie
neulich wieder ganz fertig war vor Selbstvorwürfen, da hab ich eine kleine Geschichte mitgebracht:
Zu Anfang, als noch nichts war als unendliches Gewässer,
wollte Gott die Erde erschaffen
und sprach zu seinem Engel:
„Geh’ und bring mir Sand vom Grunde des Meeres!“
Der Engel tauchte gehorsam in die Tiefe
und holte den Sand vom Grunde des Meeres.
Aber die Gewalt des Wassers war so groß,
dass sie ihm, als er empor tauchte,
seine Last aus den Händen hinwegspülte.
Als er dies merkte, kehrte er sogleich um
und versuchte es zum zweiten Mal.
Aber er verlor seine Beute wieder.
Und nicht anders erging es ihm beim dritten Versuch:
Die Bedrängnis des Wassers war zu groß,
und seine Arme waren nicht stark genug,
die Last emporzutragen.
Da kam der Engel beschämt zu seinem Gott
und zeigte ihm seine leeren Hände:
Kein Sand, nur der unter seinen Fingernägeln.
Da sprach Gott: „Das genügt.“
Da hat sie ein bisschen geweint. Und hat den Zettel genommen und ihn neben den Küchentisch gehängt. „Das les ich jetzt morgens – das tut gut.“
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