Gott trauert mit – Trauer in der Bibel
Von Veit Dinkelaker, Referent für Religionspädagogik im Bibelhaus Erlebnis Museum
Die Bibel ist ein Spiegel der wichtigsten Fragen im Leben. In den erzählenden Abschnitten lässt sich beobachten, wie die Menschen zur damaligen Zeit mit Tod und Trauer umgegangen sind. In herkömmlichen Gesellschaften gibt es wesentlich mehr eingeübte Handlungsweisen. Bis hinein in den Ausdruck und die Gestik, wissen die Menschen was zu tun ist, sobald ein Mensch stirbt. Die gemeinsame Totenklage und viele Riten sind selbstverständlich.
Die biblischen Erzählungen geben aber auch einen Eindruck der persönlichen Betroffenheit der einzelnen. Sie beschreiben, wie tief die Trauer geht – es geht den biblischen Menschen nicht anders wie allen anderen auf der Welt, wenn jemand stirbt. Die Bibel beschreibt beides: die harte Wirklichkeit des Todes und die enge Beziehung der Hinterbliebenen zu den Verstorbenen.
Selbst in den Geschichten des Neuen Testamentes, wo es um die Auferweckung von den Toten geht, lässt sich beobachten, dass die Betroffenen dennoch durch die Trauer hindurch müssen. Die Grenze des Todes ist endgültig und stürzt in tiefe Betroffenheit. Es gibt Erzählungen, bei denen deutlich ist, dass Gott selbst in der Person Jesu tief in die Trauer hinein geht. Gott trauert mit um die Verstorbenen.
Jakob kann den Tod seines Sohns nicht glauben (Gen37, 31-35)
Die Nachricht, dass sein Sohn Josef tot ist, trifft Jakob wie ein Schlag ins Gesicht (Gen 37, 31-35): "ein böses Tier hat ihn gefressen, zerrissen, zerrissen ist Josef?" Jakob kann es nicht glauben. Er stellt die Frage: Ist er wirklich tot? Jakob will es nicht wahrhaben. Er ist im Schock. Und er lässt sich nicht trösten. Er zerreißt seine Kleider. Er geht in "Sack und Asche". Er beweint ihn. Das sind drei Gesten, die immer wieder in der hebräischen Bibel Ausdruck von Trauer sind: die Verletzung durch den Tod zeigt sich dadurch, dass die Kleidung einen Riss bekommt. Ja, es ist sogar üblich, die Kleider abzulegen und nur einen Lendenschurz aus Ziegenhaar zu tragen, halbnackt zu trauern. So auch Hiob (Kapitel 1,20-21): "Da stand Hiob auf und zerriss sein Kleid und schor sein Haupt und fiel auf die Erde und neigte sich tief und sprach: 'Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren.'" Bei Jakob sitzt die Trauer um Josef und der Schock über seinen Tod so tief, dass ihm selbst diese üblichen Gesten nicht helfen. Jakob "trug Leid um seinen Sohn lange Zeit". Keiner scheint ihn trösten zu können. (Gen 37,34-25) Die Bibel beschreibt, wie es Menschen geht, die ihren Liebsten verloren haben. Durch alle Zeiten. Die Bibel trauert mit.
Marta und Maria sind verzweifelt und wütend (Joh11, 11-45)
Im Johannesevangelium wird die Auferweckung des Lazarus geschildert. Das ist eine unglaubliche Geschichte, damals und heute. Es ist auch eine Geschichte der Trauer über den plötzlichen Verlust eines lieben Menschen – so wie Menschen durch alle Zeiten um ihre Verstorbenen trauern. Die Verzweiflung der Angehörigen kommt ebenso vor, wie die teilnehmende Trauer der Nachbarn – und, dass Jesus mittrauert. Jesus weint. Er "erbebte und sprach: Wo habt ihr ihn hingelegt? Sie sprachen zu ihm: Herr, komm und sieh! Und Jesus gingen die Augen über." (Joh 11,34-35) Vorher ist die Wut und Verzweiflung der trauernden Schwestern zu spüren. Marta und Maria, beide klagen an: "Herr, wärst du hier gewesen, mein Bruder wäre nicht gestorben" (Joh 11,21.32). Für beide ist die Welt zusammengebrochen. Ihr Bruder Lazarus war krank. Keiner konnte ihm helfen. Jesus ist nicht gekommen! Lazarus ist tot. Begraben. Seit vier Tagen. Und der Messias ist zu spät gekommen und hat nicht geholfen. "Dein Bruder wird auferstehen!" (Joh 11,23) sagt Jesus. Der Glaube an die Auferstehung ist nur ein schwacher Trost in der tiefen Trauer. Marta antwortet: "Ich weiß, dass er auferstehen wird beider Auferstehung am Jüngsten Tage." (Joh 11,24) Wer das Johannesevangelium kennt, der weiß, dass hier eine Auferweckung stattfinden wird.
Die Geschichte zeigt, wie tief die Verzweiflung und Trauer beim Verlust eines lieben Menschen auch bei den engsten Freunden Jesu ist. Keine rechnet mit der Auferweckung im nächsten Augenblick. Die Geschichte zeigt: Jesus lässt sich auf die Trauer ein. Er lässt sich die Vorwürfe machen, von Marta und dann auch von Maria. Er sieht die Trauer der vielen anderen. Er fragt nach dem Grab. Jesus geht mit ans Grab. Und Jesus weint. Jesus trauert mit.
Maria Magdalenas einsame Trauer (Joh 20,11-18)
Es ist bemerkenswert, dass auch in den Ostergeschichten des Neuen Testamentes besonders einfühlsam die Trauer Einzelner erzählt ist. Die Wucht des Todes ist in all den Geschichten, die eigentlich von der Auferweckung reden, den Beteiligten besonders anzumerken. Die Auferweckung bricht in die Situation der Trauernden ebenso ein, wie der Tod in die Situation der Überlebenden. Zur Trauer gehört der Schock über die Todesnachricht, die so schwer zu verstehen ist - wie bei Jakob. Zur Trauer gehört die Wut und die Verzweiflung wie bei Marta.
Zur Trauer gehört die Einsamkeit und Orientierungslosigkeit der Hinterbliebenen, wie in der Erzählung von Maria Magdalena am Gartengrab (Joh 20,11-18). Jesus ist tot. In ihrer Trauer geht sie an sein Grab. Doch auch das hilft nichts. Es ist leer. Maria steht am Grab und weint. Sie weiß sich nicht zu helfen. Zum Tod Jesu tritt nun die Einsicht hinzu, dass sein Leichnam auch verschwunden ist. "Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben" (Joh 20,13). Dass "Engel in weißen Gewändern" im Grab sitzen, beeindruckt sie nicht. Sie ist ganz gefangen in ihrer grenzenlosen Einsamkeit, hinter dem Schleier von Tränen, sie trauert um Jesus. Und nichts scheint zu helfen. Sie hat ihn gesucht. Am Grab. Es wäre wohl möglich gewesen, ihn noch einmal zu berühren. Den Toten. Ihn zu salben. Hätte das in der Trauer geholfen?
Sie kann sich vom Verstorbenen nicht lösen. Sie bleibt am Grab das leer ist und weiß nicht weiter. Noch einer tritt zu ihr. Auch ihn fragt sie. Sie denkt es sei irgendein Gärtner: "Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt?" (Joh 20,15). Wer die Ostergeschichten kennt, weiß nun, dass Maria in dem Moment, in dem ihr Name gesagt wird, den Blick hebt und den Auferweckten erkennt. Er steht neben ihr. Jesus hatte gefragt: "Frau, was weinst du? Wen suchst du?" Als Maria ihn erkannt hat, muss sie ihn dennoch loslassen. Kaum einer wird ihr glauben, dass sie den Auferstandenen gesehen hat.
Auf dem Weg nach Emmaus – von der Trauer zurück ins Leben (Lukas 24,13-35)
Eine weitere Ostergeschichte erzählt nicht nur von der tiefen Trauer, sondern auch von einer besonderen Trauerbegleitung: zwei Jünger können sich gegenseitig nach der Kreuzigung und Grablegung Jesu auf dem langen Weg nach Hause zum Ort Emmaus nicht trösten. Da treffen sie jemanden, der sich danach erkundigt, was sie so bewegt. Sie erklären es ihm und das Entsetzen über den Verlust ist zu spüren (Lk 24,18-24). Der Andere hört zu. Er lässt es sich erzählen. Er ist bei ihnen in ihrer Trauer und begleitet sie mit auf dem Weg. Er geht auf sie ein. Sie kommen ins Gespräch und reden schließlich über Gott und die Welt. Schließlich laden sie ihn zum Essen ein: "Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt." (Lk 24,29)
Der gemeinsame Weg, die Einladung und das gemeinsame Essen wird im Lukasevangelium so geschildert, wie es manchen in der letzten Phase der Trauer nach Schock, Verzweiflung und Einsamkeit geht: das Erinnern und Erzählen setzt ein, einzelne Geschichten werden deutlicher, einzelne Situationen erinnern an den Verstorbenen, der Verstorbene scheint in manchen Situationen wie gegenwärtig. "Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege ...?" (Lk 24,31) Jesus selbst ist auf dem Weg nach Emmaus der Begleiter in der Trauer. Darin ergibt er sich zu erkennen: Ich bin dabei.
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