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Der Tod im Krankenhaus

Einige theologische und medizin-ethische Aspekte

Von Kurt W. Schmidt, Beitrag vom Studientag "Am Ende des Lebens. Trauer und Hoffnung im Angesicht des Todes." der Evangelischen Akademie am 8. Februar 2019

© GettyImages / Squaredpixels

Statistisch gesehen stirbt ungefähr jeder zweite Bundesbürger in einem Krankenhaus. Daran hat sich seit Gründung der Bundesrepublik nichts Grundlegendes geändert (Schwankungen zwischen 40 – 45%). Zugleich ist von einigen Patienten zu hören, dass ihr größter Wunsch darin besteht, zu Hause zu versterben. Dies betrifft nicht alle, zumal auch aufgrund des fortgeschrittenenen Krankheits- bzw. Sterbeprozesses nicht alle Patienten in der Lage sind, diesen Wunsch überhaupt zu äußern. Dieser Wunsch kann auch dann geäußert werden, wenn sich der Patient in einer gut ausgestatteten (Palliativ)Station mit ansprechenden Räumlichkeiten und guter personeller Ausstattung befindet. So sind in diesem „zu Hause“ viele symbolische Elemente enthalten, die auf den tiefen Wunsch nach Geborgenheit, Schutz und Frieden hinweisen.

Wenn wir einen kurzen Blick in die Medizingeschichte werfen, dann lässt sich – sehr vereinfacht – ein tiefer kultureller Wandel zwischen dem Mittelalter und der Neuzeit festhalten. Der Mensch im Mittelalter stellt die Existenz eines Schöpfergottes nicht in Frage und sieht sein Leben zwischen Geburt und Tod eingebettet in eine göttliche Schöpfungsordnung. Der plötzliche, unangekündigte Tod gilt als besonderer Schrecken, da es dem Menschen nicht die Möglichkeit gibt, sich auf sein bevorstehendes Ende und das Jüngste Gericht vorzubereiten.

Mit dem Übergang in die Neuzeit schwinden diese Vorstellungen von Gericht, Auferweckung und einem Leben nach dem Tod. Je stärker nun die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod verblasst, tritt die Bedeutung des irdischen Lebens in seiner Einmaligkeit in den Vordergrund. Marianne Gronemeyer hat diesen epochalen Wandel in ihrem Buch: „Das Leben als letzte Gelegenheit“ eindrücklich geschildert (5. Aufl., Darmstadt 2013). In der Kunstgeschichte erkennen wir heute in Lukas Cranachs „Der Jungbrunnen“ (1546) die Hoffnung, die auf die Medizin gesetzt wird: Von der linken Seite werden Alte, Kranke und Behinderte an das Wasserbecken gebracht und während sie das heilende Wasser durchschreiten, fallen alle Beeinträchtigungen von ihnen ab und sie entsteigen auf der anderen Seite dem Wasserbecken jung und gesund, um wieder die vielfältigen Freuden des irdischen Lebens zu genießen. So lässt sich dieses Bild als Ausdruck der Hoffnung des Menschen verstehen, dass die Medizin Leiden und Beeinträchtigungen beseitigen möge.

Unterschiedliche Tode im Krankenhaus

Verschiedene Erstreaktionen (der Trauer)

Die großen Erfolge, die die Medizin im 19. Jahrhundert erreicht hat, wurden u.a. dadurch ermöglicht, dass sich die Medizin radikal von allen religiösen, theologischen und mystischen Anschauungen der Krankheitsentstehung getrennt hat. Sie wollte nichts gelten lassen, was nicht im Labor bewiesen werden konnte. Sie wendete naturwissenschaftliche Methoden an, um die Ursachen der Erkrankung zu entdecken. Das Neue und Entlastende für den Patienten war nun: Der Mensch wurde befreit von jahrhundertealten magisch-mystischen Vorstellungen der Krankheitsentstehung, von irrationalen Schuldgefühlen und von abergläubischen Vorstellungen, warum er krank geworden ist oder was ihn heilen könnte. Die Kehrseite dieser Errungenschaft war jedoch, dass mit der bewußten Trennung von philosophisch-religiösen Deutungsmodellen und Weltbildern eine überaus wichtige Frage ausgeklammert wurde, nämlich die Frage, welchen Sinn die Erkrankung, das Leben und das Sterben für den Patienten hat. Die klassische Schulmedizin konnte aus sich heraus keine Antwort auf diese Grundfragen des Patienten geben, sie konnte die Frage nach dem existenziellen Sinn, nach dem Warum und dem Wozu des Leidens nicht beantworten. Der Medizinhistoriker Alfons Labisch hat dies als „Paradoxie der Moderne“ beschrieben (Homo Hygienicus – Gesundheit und Medizin in der Neuzeit. Campus 1993). Dieses Defizit hat die Schulmedizin selbst erkannt und in verschiedensten Ausprägungen versucht, darauf zu reagiern, um sich dem Menschen als Person und mit seiner individuellen Lebensgeschichte anzunehmen.

Es lässt sich somit festhalten, dass mit dem Erfolg der naturwissenschaftlich orientierten Schulmedizin zugleich eine Sprachlosigkeit gegenüber dem Sterben und dem Tod einherging. Als in den 1950er Jahren eine Polioepidemie in Nordeuropa das Leben vieler Menschen gefährdete, die zu ersticken drohten, werden in den Krankenhäusern spezielle Beatmungsstationen geschaffen, die zu unseren heutigen Intensivstationen führten. Die technischen Möglichkeiten, die hier im Laufe der Zeit entwickelt wurden, um lebensgefährliche Bedrohungen von Schwerstkranken zu überwinden, haben vielfältige neue ethische Fragen aufgeworfen (Wann dürfen Maßnahmen, die begonnen wurden, auch wieder beendet werden?) und zur Medizinethik als gesondertem Arbeitsfeld geführt. So haben die besonderen Möglichkeiten der Organerhaltung einen bisher unbekannten Zustand geschaffen, den in früheren Jahren sogenannten „Hirntod“, d.h. den kompletten Ausfall aller Hirnfunktionen.

Auch wenn also nahezu jeder zweite Bundesbürger in einem Krankenhaus verstirbt, sind die Erkrankungszustände, die zu seinem Tod geführt haben, höchst unterschiedlich und individuell: Ob nach schwerer Vorerkrankung, nach einem Unfall oder einem plötzlichen Schlaganfall. Ebenso der Sterbeort in einem Krankenhaus: Ob auf der sogenannten Normalstation, der Intensivstation oder der Palliativstation. Ebenso die Reaktionen der Angehörigen und des Personals. So kann es passieren, dass die Angehörigen vom Versterben des Patienten völlig überrascht sind („plötzlich und unerwartet“), das Versterben dieses Patienten von Ärzten und Pflegekräften jedoch erwartet wurde. In der nachfolgenden Übersicht sind einige dieser Unterschiede schematisch aufgelistet. Diese Tabelle beansprucht keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit, sie soll vielmehr als Hinweis dafür dienen, wie unterschiedlich sich Sterben und Tod im Krankenhaus ereignen und wie verschieden die Reaktionen der Betroffenen sein können, auch innerhalb einer einzelnen Familie oder eines Behandlungsteams. Letztlich stirbt jede(r) seinen eigenen Tod.

 

 

 

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