Menümobile menu

"Komplett geschockt"

Unternehmen sind auf Trauernde am Arbeitsplatz oft nicht vorbereitet

Von Dieter Sell (epd)

© GettyImages / skynesher

Tod und Trauer sind in der Gesellschaft oft noch immer ein Tabu. Das gilt in besonderer Weise für Firmen, die sich selten aktiv auf den Ernstfall vorbereiten. Experten können helfen, wenn Sprachlosigkeit und Unsicherheiten groß sind.

Im Büro war ihm auf einmal nicht gut. Doch dass die Sache so dramatisch enden würde, damit hatte niemand gerechnet. Bis Stunden später die Polizei im Betrieb anrief und nach Angehörigen fragte. Der von allen geschätzte Mitarbeiter, lebensfroh und engagiert, war an plötzlichem Herzversagen gestorben. "Das Team war komplett geschockt", erinnert sich die Bremer Trauerberaterin Tanja M. Brinkmann (46), die dem Kollegium eine Zeit lang zur Seite stand: "Sie brauchten einfach einen Raum, um darüber zu sprechen."

Etwas mehr als 932.000 Sterbefälle verzeichnete das Statistische Bundesamt für das Jahr 2017. "Das bedeutet gut zwei Millionen Menschen im Nahbereich, die als Trauernde betroffen sind und an einen Arbeitsplatz zurückkehren", schätzt Brinkmann. Von den gestorbenen Menschen seien mindestens 140.000 zwischen 20 und 65 Jahre alt gewesen. "Also meist Erwerbstätige, die in einem Unternehmen beschäftigt waren."

Noch einmal in besonderer Weise sind die Kollegien betroffen, in denen es tödliche Arbeitsunfälle gibt. 2017 waren das nach Angaben der Gesetzlichen Unfallversicherung bundesweit 451 Menschen. "Aber nur ganz wenige Unternehmen setzen sich vor dem Ernstfall aktiv mit dem Thema auseinander", hat Brinkmann erfahren.

"Unternehmen und Teams sind manchmal sehr gefordert, wenn sie den Tod einer Kollegin oder eines Kollegen verkraften müssen", weiß Brinkmann. "Einerseits haben wir unsere berufliche Rolle und vielerorts die Vorstellung, dass Trauer etwas eher Privates ist. Andererseits ist die Arbeit der Ort, an dem wir viel Lebenszeit verbringen und auch Bindungen eingehen."

Trauer ist ein individueller Prozess, niemals Routine

Oft berät die Sozialwissenschaftlerin und gelernte Krankenschwester deshalb Firmen, die nicht genau wissen, wie sie mit einem trauernden Angehörigen oder einem trauernden Team umgehen sollen, wenn Sprachlosigkeit und Unsicherheiten im Raum stehen. Den Betroffenen in Ruhe lassen? Ansprechen?

"Für Trauernde ist es viel verletzender, nicht gesehen zu werden", sagt Brinkmann, betont aber auch, dass Trauer ein individueller Prozess ist, niemals Routine. Schon gar nicht am Arbeitsplatz, wo auch eine Reihe praktischer Dinge geklärt werden müssen wie die Fragen, wer den Schreibtisch ausräumt, wer Geschäftspartner*innen informiert oder wer mit zur Beerdigung geht.

Es gebe Kollegen, die wollten nicht darüber reden, auch das sei zu respektieren. "Sterben und Tod zu erleben, das kann uns an persönliche Grenzen führen, emotional und sprachlich", berichtet Brinkmann und führt mit Blick auf das Gespräch mit Trauernden aus: "Reden ist Bronze, Fragen ist Silber, Zuhören ist Gold und Schweigen, miteinander aushalten, ein Taschentuch reichen, das ist Platin."

Fragen, was der Trauernde brauche, darauf komme es an, verdeutlicht die Beraterin und sieht in diesem Zusammenhang vor allem Führungskräfte gefordert. Ganz allgemein sei klar: "Trauer ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Denn sie hilft, den Verlust in das Leben zu integrieren."

Das richtige Maß von Nähe und Distanz finden

Aus ihrer Beratungspraxis berichtet die Expertin von kleinen Gesten, die hilfreich sein können: Den Trauernden mit einer Blume und den Worten "schön, dass Du wieder da bist" am Arbeitsplatz empfangen, einen Kaffee an den Schreibtisch bringen, eine Kurznachricht schreiben, fragen, ob man gemeinsam zum Mittag in die Kantine gehen will. Allemal besser, als den Trauernden zu meiden, sei es, mit der eigenen Sprachlosigkeit offen umzugehen und zu sagen: "Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, aber es tut mir so leid für dich."

Das richtige Maß von Nähe und Distanz zu finden, das sei manchmal gar nicht so leicht, räumt Brinkmann ein: "Nicht in Watte packen, das ist wichtig. Aber auch nicht überfordern, beispielsweise mit gut gemeinten Ratschlägen."

Das Team, das den so plötzlich verstorbenen Kollegen betrauerte, hat aus der Schockstarre herausgefunden, blickt Brinkmann zurück: "In der Firma gab es das Lieblingsessen des Verstorbenen, zusammen mit der Schwester wurde eine Trauerfeier gestaltet, im Konferenzraum steht ein Erinnerungsbuch, das sich jeder jederzeit anschauen kann. Das war ein würdiger Abschied."

Diese Seite:Download PDFDrucken

to top