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Eine Flasche Schnaps als Grabbeigabe

Von Katharina Payk, Autorin evangelisch.de

© GettyImages / AlexSava

Wie wir trauern, wie wir sterben und beerdigt werden, hängt von der Frage unseres sozialen Status ab. Francis Seeck hat ein spannendes Buch über Ausgrenzung auf dem Friedhof und alternative Trauerpraxen geschrieben. Katharina Payk hat Francis Seeck zu einem Interview getroffen.

Katharina Payk: Die Arbeit an deinem Buch "Recht auf Trauer" entstand aus einer persönlichen Erfahrung heraus. Du erfuhrst vom Tod deines Vaters und seiner bereits vollzogenen Bestattung erst Wochen später. Dein Vater wurde in einer sogenannten ordnungsbehördlichen Bestattung beigesetzt. Du warst nicht informiert worden. Auch seine persönlichen Dinge, deine Erinnerungsstücke, waren entsorgt worden. Wie kam das?

Francis Seeck: Ich erfuhr erst über die Rechnung der Bestattungskosten, die mir das Gesundheitsamt schickte, vom Tod meines Vaters. Er lebte allein in Berlin-Neukölln, und wir hatten seit längerer Zeit keinen Kontakt. Eine ordnungsbehördliche Bestattung betrifft vor allem Menschen, die alleine wohnen, von Armut betroffen sind und keine Bestattungsvorsorge abgeschlossen haben. In Berlin-Neukölln wird nach dem Tod eines Menschen nur noch eine Woche oberflächlich nach Angehörigen gesucht, danach übernimmt die Behörde die Beerdigung, die dann möglichst effizient und kostengünstig abgewickelt wird. Später sucht die Nachlassverwaltung noch nach bestattungspflichtigen Angehörigen, die die Beerdigungskosten im Nachhinein übernehmen. In Berlin werden alle ordnungsbehördlichen Bestattungen von dem Bestattungsunternehmen durchgeführt, das bei der öffentlichen Ausschreibung das billigste Angebot unterbreitet hat. Oft werden sie dann als Sammelbestattungen im Minutentakt durchgeführt. Das Grab ist meistens ein anonymes Grab unter dem grünen Rasen. Ordnungsbehördliche Bestattungen sind in Berlin in der Regel Feuerbestattungen.

Du hast daraufhin entschieden, zu beforschen, welche Folgen Machtverhältnisse auf Bestattungen haben. Du hast dich dabei auf Klassismus konzentriert, aber auch queere Fragestellungen aufgeworfen. Was hast du hier beobachtet und herausgefunden?

Klassismus – also die Diskriminierung aufgrund der sozialen und ökonomischen Position in der Gesellschaft – hört auch nach dem Tod nicht auf. Außerdem sind immer mehr Menschen von Altersarmut betroffen. Menschen die alleine Leben oder in nicht-traditionellen Beziehungsformen sind häufiger von ordnungsbehördlichen Bestattungen betroffen, wo sie oft nicht einmal mehr namentlich genannt werden und keine Zeit für einen individuellen Abschied vorgesehen ist.

Namentliche Erinnerung kann eine widerständige Praxis gegen Anonymität und "Unbetrauerbarkeit" sein, schreibst du. Wer gilt als unbetrauerbar und was gibt es für Praxen oder Aktionen dagegen?

Die Philosophin Judith Butler betonte, dass "Unbetrauerbaren" kein Wert zugemessen wird, sie dadurch keinen Anspruch auf Unterstützung und Hilfe haben und sich auch nicht an sie erinnert wird. Ein historisches Beispiel ist der Umgang mit dem Sterben von v. a. schwulen Männern während der AIDS-Krise. Da die staatlichen Versorgungsstrukturen von Homophobie geprägt waren und schwulen Männern oft die Schuld für die Krankheit gegeben wurde, mussten schwule und queere Communitys eigene Versorgungs-, Trauer- und Bestattungskulturen aufbauen.

Aktuell sterben unglaublich viele Menschen auf der Flucht an den europäischen Außengrenzen. Im öffentlichen Diskurs sind sie häufig namen- und identitätslos und werden nicht betrauert. Auch arme Menschen, die ordnungsbehördlich bestattet werden, werden gemeinhin als nicht-betrauerbar gesehen. Ich führte für mein Buch Interviews mit Mitarbeiter*innen aus den Gesundheitsämtern, Angehörigen von ordnungsbehördlich Bestatteten, Bestatter*innen und Aktivist*innen. Menschen, die arm ohne Bestattungsvorsorge sterben, werden oft als Kostenfälle behandelt, die im Leben nichts geleistet hätten. Die anonymen Gräber und Bestattungen ohne Zeit für Trauerreden werden damit begründet, dass es ja keine Angehörigen gäbe, die trauern würden. Dass Menschen oft andere Netzwerke und Bezugsgruppen haben, die um sie trauern, wird ausgeblendet. Besonders häufig betroffen sind wohnungslose Menschen. Ihre Bestattung wird oft von den Behörden noch schneller abgewickelt.

Es gibt einige Initiativen, die sich gegen diese unwürdigen Bestattungspraktiken einsetzen und ein Recht auf eine würdige Bestattung für alle Menschen fordern – unabhängig vom ökonomischen Status. In Berlin-Kreuzberg gibt es beispielsweise das Grab mit vielen Namen, welches sich anonymen Beerdigungen von wohnungslosen Menschen entgegenstellt.

Ist die eigene Beerdigung zu organisieren Teil der Fortschreibung der neoliberalistischen, leistungsorientierten Werte in unserer individualisierten Gesellschaft oder ist es Teil eines selbstbestimmten Sterbens?

Das eigene Sterben wird zunehmend zu einem Projekt. 2004 wurde das Sterbegeld der Krankenkassen abgeschafft, welches die Kosten einer einfachen Beerdigung deckte. Seitdem findet eine zunehmende Ökonomisierung statt. Der Tod wird immer mehr als individuelles Projekt verstanden, um das sich jede einzelne Person selbst zu kümmern hat. Für Menschen, die es sich leisten können, gibt es unzählige Möglichkeiten individueller Bestattungen: Seebestattungen, Diamantbestattungen und Co. Bei armen Menschen sind die Möglichkeiten begrenzt. Oft wird Menschen, die ordnungsbehördlich bestattet werden auch die Schuld gegeben "sie hätten sich zu Lebzeiten nicht genug gekümmert". Hier wird die neoliberale Idee, dass alle für ihren gesellschaftlichen Erfolg selbst verantwortlich sind nach dem Tod fortgeführt.

Gleichzeitig ist die Trauer- und Bestattungskultur oft von Normen und Regulationen geprägt, und es ist wichtig, diese in Bewegung zu bringen. Ich finde es gut, wenn es vielfältige Bestattungs- und Trauerformen gibt. Diese sollten aber nicht nur  wohlhabenden Menschen zur Verfügung stehen.

Du warst damals in einer queer-feministischen Trauergruppe. Inwiefern war es für dich wichtig, dass dort queere Menschen waren? Welche Rolle spielen alternative Trauergemeinschaften und wo findet man sie?

Die Zeit in der queeren Trauergruppe war enorm hilfreich für mich. Es war wichtig, mich mit anderen Personen, deren Trauererfahrungen nicht der Norm entsprachen, auszutauschen. Einer lesbischen Person wurde von der Familie ihrer Exfreundin nach deren Tod verweigert, sich zu verabschieden. Sie wurde aufgrund von Homofeindlichkeit aus dem Trauerprozess ausgeschlossen. Sie musste sich andere Trauerräume aufbauen.  Bei anderen war, wie bei mir, der Tod und die "Unbetrauerbarkeit" der Eltern stark mit Klassismus verbunden. Denn wenn deine Eltern gesellschaftlich nicht erfolgreich waren, sondern erwerbslos, und früh sterben, ist die Anerkennung für ihr Leben oft gering. Als mein Vater starb, war ich Anfang 20, es war auch wichtig, mich mit anderen Leuten zu vernetzen, die auch sehr früh (Halb-)Waisen wurden, da viele Freund*innen noch keinen Todesfall erlebt haben.

Ich habe die Trauergruppe selbst aufgebaut, da es keine entsprechenden Angebote gab. Heute sieht das allerdings zumindest in Berlin schon anders aus, und es gibt einige Angebote vor allem für queere Trauernde.

Welche Rolle spielen Gender und sexuelle Orientierung bei dem Thema?

Die Trauer- und Bestattungskultur ist oft von Heteronormativität geprägt. Aus einer queeren Perspektive ist es wichtig, Bestattungs- und Trauernormen zu durchbrechen. Es gibt beispielsweise die Norm des Doppelgrabs – der Mann liegt rechts und die Frau links. Wenn sich ein lesbisches Paar ein Doppelgrab wünscht, sind einige Friedhofsverwalter_innen schon überfordert. Bei trans Menschen ist es enorm wichtig, dass sie auch nach dem Tod richtig angesprochen werden und in ihrem Geschlecht bestattet werden, unabhängig von dem, was in ihrem Ausweis steht oder wie ihr Körper gelesen wird.

Aktivist*innen haben bereits einige queere Bestattungsangebote aufgebaut. Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg sind viele queere Menschen bestattet. Dort befindet sich auch das Gemeinschaftsgrab vom Verein "Denk mal positHIV" für Menschen mit HIV/AIDS, die etwa aufgrund ihrer Erkrankung und oft auch wegen ihrer sexuellen Orientierung in ihrem Leben Ausgrenzung erfahren haben – bis über die Grenzen ihres Todes hinaus. Ähnliches gilt für lesbisches Leben und Sterben, das oft unsichtbar ist.  Eine lesbische Initiative hat daher 2014 auf dem Georgen-Parochial-Friedhof I am Prenzlauer Berg ein eigenes Friedhofsfeld nur für Lesben eingerichtet. Hier findet die Gemeinschaft von Lesben über den Tod hinaus Raum.

Oft haben bestattungspflichtige Verwandte andere Vorstellungen von der Bestattung als die eigentlichen Bezugspersonen, etwa aus der LGBTI-Community. In Berlin gibt es beispielsweise den queeren Bestatter Julian Heigel ("Thanatos Bestattungen"), der sich für selbstbestimmte Bestattungen einsetzt. Er nimmt in Konfliktfällen auch die Rolle eines Vermittlers ein.

Eine große Rolle spielt nach wie vor die Kirche bei Bestattungen. Welche Erfahrungen hast du in Bezug auf deine Forschungen und deinen Aktivismus mit Kirche gemacht? Was wünschst du dir von Kirche diesbezüglich?

Ich habe für mein Buch ein Interview mit Pfarrer Peter Stork vom Projekt "Grab mit vielen Namen" geführt und war auch bei einigen Beerdigungen der Initiative dabei. Die Kirchengemeinde Heilig Kreuz hat im Jahr 2001 eine würdige Grabstelle mit Namens- und Erinnerungsstein in Berlin eingerichtet. Hier werden v. a.  wohnungslose Männer bestattet, wenn sie das möchten. Diese Initiative finanziert sich über Spenden. Sie melden sich immer wieder gegen die menschenunwürdige Praxis zu Wort. Mir gefällt auch, dass das Projekt sich für die unterschiedlichen Trauerpraxen der Trauergemeinschaft öffnet. So wurde bei den Beerdigungen auch öfter Mal eine Flasche Schnaps als Beigabe ins Grab geworfen, Punkmusik gespielt und der Pfarrer ließ sich auch unterbrechen, wenn jemand der Gäste eine andere Trauerrede halten wollte. Ein wenig schade finde ich jedoch, dass auf dem Grabstein des Projekt der Name des verstorbenen Pfarrers, der sich auch dort hat bestatten lassen dann doch um einiges größer gedruckt ist, als die der verstorbenen wohnungslosen Menschen.

Ich bin selbst Agnostikerin, arbeite aber beim Thema ordnungsbehördliche Bestattungen immer wieder mit Kirchen zusammen. Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Kirchen Initiativen wie das "Grab mit vielen Namen" aufbauen und sich auch in der Öffentlichkeit gegen ordnungsbehördliche Bestattungen zu Wort melden. Gleichzeitig ist es auch notwendig, die Trauer- und Bestattungskonventionen noch weiter zu öffnen, um mehr alternative Bestattungsformen zu ermöglichen.

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Zur Person

Francis Seeck ist Autorin, Antidiskriminierungstrainerin, Lehrbeauftragte und schreibt eine Dissertation zum Thema trans und queere Care-Praxen. Ihr Buch "Recht auf Trauer. Bestattungen aus machtkritischer Perspektive" ist 2017 bei edition assemblage erschienen.

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Zur Autorin

Katharina Payk ist Evangelische Theologin und Journalistin und wohnt in Wien. Sie ist Redakteurin beim feministischen Magazin an.schläge und bei Radio Orange 94.0 und schreibt u. a. für evangelisch.de im Blog „kreuz & queer“. Sie ist Lehrbeauftragte an verschiedenen österreichischen Universitäten.

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