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„Wer wird einmal um mich trauern?“

Von Armin Himmighofen, Dekanat Nassauer Land

© GettyImages / vvvita

Meine Frau ist vor eineinhalb Jahren gestorben. Ich lebe seitdem alleine und habe intensiv das Gefühl übrig geblieben zu sein. Anteilnehmende Besuche aus der Gemeinde sind weniger geworden. Ich habe für mich einen Weg gefunden, wie ich weiterleben kann. Ich kann jetzt auch besser beschreiben, wie ich die letzten Monate mit meiner Frau erlebt habe.

Sie war schwer krank geworden, hat aber lange gewartet, bis sie sich vom Arzt untersuchen ließ. Als der sein Ergebnis präsentiert und Vorschläge für eine Behandlung gemacht hat, wollte sie weder Bestrahlungen noch Chemotherapie oder dergleichen. Dafür hätte sie in die nächste Klinik verlegt werden müssen. Es war ihr wichtiger, ihre letzten Monate mit mir zuhause zu verbringen. Ich hatte die Aufgabe, sie zu pflegen. Eine Pflegeeinstufung vom MDK hat sie nicht bekommen, weil sie weitere medizinische Hilfe abgelehnt hatte.

Ich habe Kontakt mit dem Hospizdienst aufgenommen. Sie haben uns eine Hospizhelferin vermittelt, die  ein paar Mal zu uns gekommen ist.  Sie war einfühlsam und kompetent. Als meine Frau nur noch liegen konnte, kam eine Schwester von der Diakoniestation. Drei Mal hat sie sie gewaschen und gepflegt. Solange ich für alles zuständig war, fühlte ich mich sehr gefordert und die Zeit ist mir lang geworden. Ich war froh, dass ich noch Mal Hilfe bekommen habe. Am Abend vor dem Tod meiner Frau hat die Diakonieschwester gesagt: „Es wird nicht mehr lange dauern.“ Am nächsten Morgen starb meine Frau. Eine andere noch ganz junge Schwester kam kurz danach und half mir, meine Frau noch einmal schön zu machen. Sie hat mich in den Arm genommen und mir geholfen, dass ich ruhig werden konnte. Ich war in diesem Moment nicht alleine.

Was mir während der Sterbezeit geholfen hat und bis heute hilft: Wir haben Choräle gesungen - jeden Morgen - und uns laut aus der Bibel vorgelesen. Das mache ich weiter so und denke an sie. Vielleicht hört sie mich ja.

Aber wie sie trauern, weiß ich gar nicht so recht

Unsere Gemeindepfarrerin und ihr Kollege aus der Gemeinschaft haben uns ein paar Mal besucht. Sie wollten Anteil nehmen. Bei einem der Besuche haben wir auch über die Beerdigung gesprochen. Sie haben die Trauerfeier gemeinsam gestaltet. Das verbindet mich mit ihnen.

Manchmal frage ich mich: Wer wird mich beerdigen? Vor allem: Wer wird um mich trauern? Wo wird mein Grab sein? Ich werde vielleicht noch zwanzig Jahre leben, wenn ich so gesund bleibe, wie ich jetzt bin.

Sicher werden meine Kinder kommen und trauern. Und wir haben ja auch schon darüber gesprochen. Ich habe ein gutes Verhältnis zu ihnen. Trotzdem wird es anders sein als bei meiner Frau. Jeder trauert anders. Das merke ich jetzt schon, wenn sie zu Besuch kommen. Sie erinnern mich, dass meine Frau nicht mehr da ist. Aber wie sie trauern, weiß ich gar nicht so recht.

Wenn die Enkelkinder dabei sind, suchen sie nach Beschäftigung. Solange meine Frau da war, hat sie sich ihnen zugewandt und das war schön. Ich habe noch viele Fotos von ihr im Kreis der Enkelkinder. Sie hat sich Gedanken gemacht, was wir unseren Kindern und Enkelkindern bieten können. Auch dafür fehlt sie mir jetzt.

Ich spüre immer noch den Schmerz

Nach der Beerdigung hat es mir gut getan, die Anteilnahme der Nachbarn und Freundinnen aus der Gemeinde zu erleben. Ich habe sie auch zugelassen. Schweigen hätte mir nicht geholfen. Ich musste oft weinen. Das ist jetzt nicht mehr so. Ich idealisiere meine Frau auch weniger. Beim Aufräumen entdecke ich manchmal, worum sie sich gesorgt und wie sie eingekauft hat, als würde bald eine Not anfangen. Ich versuche, alles was ich für überflüssig halte, zu verschenken. Aber wer will schon so viel Zucker oder Gewürze haben?

Ich schätze, dass ich mehr Freiheit habe und ich versuche nicht, das Haus so ordentlich zu halten, wie sie es getan hat. Ich könnte es auch gar nicht. Ich habe rechtzeitig die Garderobe meiner Frau abgegeben. Das würde ich in zehn Jahren nicht mehr so können.

Manchmal finde ich Bücher meiner Frau und erinnere mich an Gespräche oder habe Bilder vor Augen, wo und was wir miteinander gesprochen haben. Ich spüre immer noch den Schmerz.

Trauern ist auch eine Zeit der Erkenntnisse

Einige Monate nach der Beerdigung - beim Spazieren gehen - hatte ich plötzlich eine Eingebung, was auf dem Grabstein meiner Frau stehen sollte. Der Steinmetz hat es ausgeführt. Das Grab ist jetzt zum wichtigsten Erinnerungsort geworden. Dort kann ich sitzen und Rat mit ihr halten. Zuhause muss ich eher daran denken, wie sie unser gemeinsames Leben gestaltet hat. Da fehlt sie mir am meisten.

Es gibt kaum jemanden, der Erinnerungen an sie von früher mit mir teilen kann. Wir hatten eine sehr innige Beziehung. Ich fahre hin und wieder zu meinem Schwager und seiner Frau. Die wissen noch vieles, was ich mit ihr erlebt habe. Und ich habe viele Fotos und Dias, die ich mir anschauen kann.

Trauern ist auch eine Zeit der Erkenntnisse. Ich rate allen Eltern, dass sie ihre Kinder taufen lassen und ihnen einen Bibelspruch aussuchen. Es braucht die grundlegende Botschaft, dass das Leben gelingen kann, wenn wir uns auf die Hilfe Gottes besinnen. Ohne das zerfällt das Leben in Aufgaben und Ziele, von denen wir mehr verpassen als erreichen können. Mein Trost ist, dass ich in der Bibel lesen kann und dabei fühle ich mich mit meiner Frau verbunden.

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