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Unsterblich im Netz

Mit der Digitalisierung verschiebt sich auch die Trauer ins Internet

Von Carina Dobra, Redakteurin Evangelische Sonntags-Zeitung

Kinder und Jugendliche verbringen laut einer aktuellen Studie mehr als zwei Stunden täglich im Netz. Wenn das Leben zu einem großen Teil digital stattfindet, warum sollte es das Sterben nicht tun? Digitale Trauer kann heilsam sein. Oft finden Angehörige aber auch kein Ende vom Abschiednehmen.

Zwei junge, blonde Frauen strahlen in die Kamera. In der Mitte die Mutter der beiden. Auch sie lacht. Das Foto, dass Marie (Name geändert) auf Instagram hochgeladen hat, ist jedoch nicht aktuell. Ihre Mama ist inzwischen verstorben. An Krebs. Ein gutes Jahr ist das jetzt her. Regelmäßig postet Marie Bilder aus vergangenen Tagen mit ihrer Mutter. Unter den Fotos stehen Zeilen wie »Missing you« oder die Hashtags »immerinunseremherzen«, »bestemama« und »vielzufrüh«.

So wie Marie gehen heute viele mit ihrer Trauer um. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov hat gut ein Viertel (28 Prozent) schon einmal öffentlich in einem sozialen Netzwerk getrauert. Knapp zwei von drei Social-Media-Nutzern finden den öffentlichen Ausdruck von Trauer demnach schön. Ebenso viele sagen aber, es gehe dabei vor allem um die Aufmerksamkeit.

Kerzen anzünden, Gedenkstätten errichten – alles virtuell möglich

Digitales Trauern findet nicht nur auf Facebook und Instagram statt. Trauernde können im Netz virtuell Kerzen anzünden, im Online-Kondolenzbuch einen Eintrag schreiben oder Fotos auf eine Trauerseite einstellen. »Die Straße der Besten« etwa ist ein virtueller Friedhof, auf dem Angehörige kostenlose Gedenkseiten für verstorbene Menschen erstellen können. Den Nutzern stehen verschiedene Orte zur Verfügung, auf denen sie eine Gedenkstätte platzieren können.

Auch die evangelische Kirche bietet mit »trauernetz.de« eine Möglichkeit, Verstorbenen online zu gedenken. Dort findet der Besucher Trauersprüche, Bibelworte, Gebete, Gedichte sowie Musik und Filme zur Trauerbewältigung. Über einen Link gelangt der Nutzer auf eine Seite, bei der er ebenfalls eine Gedenkseite anlegen kann. Diese kann öffentlich oder privat sein.

Im Digitalen entstehen seit vielen Jahren neue Formen der Bewältigung. Logisch, finden Experten wie Birgit Aurelia Janetzky. Die Theologin ist freie Trauerrednerin und befasst sich mit digitaler Trauer. Gerade für junge Menschen sei das Internet ein Alltagsmedium. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des Hamburger Hans-Bredow-Instituts für Medienforschung sind Kinder und Jugendliche jeden Tag 2,4 Stunden online, mit deutlich steigender Tendenz bei Älteren und an Wochenenden. Die junge Generation unterscheide kaum zwischen virtueller und realer Welt, erklärt sie. Warum sollten Jugendliche Trauerkarten verschicken, wenn sie auch sonst keine Briefe schreiben, merkt Janetzky an. Man fliehe nicht vor der Trauer, sondern nutze das Netz zusätzlich. Trauer sei heute öffentlicher, ergänzt sie.

Selbstverständlich könnten Menschen ihre Anteilnahme in sozialen Netzwerken oder in Messengerdiensten wie WhatsApp auch mit Emojis ausdrücken, findet die Digital-Expertin. Was für einige vielleicht pietätlos wirkt, habe mit generellen Veränderung der Sprache zu tun, erklärt sie. Vielleicht gibt es ja eines Tages auch Trauer-Emojis, wagt Janetzky einen Blick in die Zukunft.

Bilder verstorbener Menschen und traurige Bildunterschriften und Kommentare scheinen in der sonst so perfekten Welt von Instagram und Co auf den ersten Blick fehl am Platz, erklärt Janetzky. Sie gehörten aber genauso dorthin wie schöne Urlaubsbilder. Inzwischen gibt es auch Influencerinnen, die auf ihren Profilen über ihre Krankheiten oder Verluste von Freunden oder Familienmitgliedern sprechen.

Ähnliches beobachtet der Soziologe Thorsten Benkel auf dem Videoportal Youtube. Die meisten denken dabei vermutlich zunächst an Musik- und Erklärvideos oder lustige Katzen-Filmchen. Aber auch hier haben die Themen Tod und Sterben längst einen festen Platz. Einige User filmten ein Familienmitglied während einer schweren Krankheit oder dokumentierten mit der Kamera ihre eigene Leidensgeschichte, erzählt Benkel, der an der Universität Passau zum Wandel der Trauerkultur forscht.

Auch beim Trauern spielt in Zukunft Künstliche Intelligenz eine Rolle

Die Vorteile des digitalen Trauerns liegen auf der Hand: Betroffene könnten das nach wie vor tabubelastete Thema Tod offen ansprechen, müssten sich nicht schämen, erklärt der Wissenschaftler. Online sei man eher anonym. Das mache es leichter, über Gefühle zu sprechen, meint Benkel. Die Möglichkeiten im Netz scheinen unendlich. Trauernde können bei der Gestaltung von Trauerseiten ständig Änderungen vornehmen: Neue Musik und Videos hochladen zum Beispiel. Das geht bei einem Grabstein nicht.

Das Problem: Betroffene könnten schlechter loslassen. Während Friedhöfe feste Öffnungszeiten haben, gelten für das Netz oftmals keine Regeln. Die Trauernden seien ständig mit Bildern der Verstorbenen konfrontiert, erklärt der Soziologe.

In Zukunft wird nach Ansicht des Experten Künstliche Intelligenz (KI) eine große Rolle spielen. Bereits jetzt gebe es in Europa und den USA Start-Up-Unternehmen, die virtuelle Unsterblichkeit versprechen. Aus Daten, die zu Lebzeiten eingegeben wurden, soll mittels KI ein Ebenbild kreiert werden, mit dem die Hinterbliebenen auch nach dem Tod weiter kommunizieren können.

Was gruselig klingt, ist vereinzelt bereits real. Auf verschiedenen, bislang ausschließlich nicht-deutschen Seiten bieten Unternehmen so ein virtuelles, endloses Leben an.

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