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Einsam auf dem letzten Weg

Eine Pfarrerin lädt ehrenamtliche Trauergäste ein, wenn sonst keiner zur Beerdigung kommt

Von Steffen Edlinger

© privatPfarrerin Silke Alves-Christe (links) und Trauergast Heike Lauer.

Eine Bestattung ohne Trauergäste? Das ist für viele Menschen eine traurige Vorstellung. Aber es kommt vor – gar nicht so selten. Pfarrerin Silke Alves-Christe wollte sich damit nicht abfinden und ist aktiv geworden.

Es ist ein regnerischer Novembermorgen. Pfarrerin Silke Alves-Christe aus der Dreikönigsgemeinde im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen steht auf dem Hauptfriedhof vor einem Sarg. Er ist schlicht, keine Blume liegt darauf. Nur ein kleiner Zettel klebt daran: »Erde sozial«. Dazu Name, Geburtsdatum und Sterbedatum. Mehr nicht. »Erde sozial« – Das bedeutet »Erdbestattung Sozialbegräbnis«.

»Wollen Sie wirklich mitgehen? Es ist sehr matschig da hinten«, fragt einer der Friedhofsmitarbeiter die Pfarrerin. Silke Alves-Christe ist fest entschlossen. Mit den vier Friedhofsmitarbeitern schreitet sie langsam zum Grab. Zwei ziehen den Sargwagen, einer schiebt und lenkt ihn, der Letzte trägt ein einfaches Holzkreuz. Am Grab wartet die Pfarrerin. Doch niemand kommt. Keine Familie, keine Angehörigen, keine Freunde. Bei der Bestattung bleibt sie alleine.

Ohne Kirchenmitgliedschaft bleibt es oft reine Formsache

Es handelte sich um eine sogenannte Sozialbestattung. In diesen Fällen hat der oder die Verstorbene meist Sozialhilfe bezogen. Sind keine Angehörigen auffindbar, übernimmt das Sozialamt eine einfache, formlose Beerdigung. In diesem Fall war der Verstorbene Kirchenmitglied. Das bedeutet, dass die Kirchengemeinde über den Todesfall informiert wird.

Somit war Pfarrerin Alves-Christe auf dem Friedhof, um eine Trauerrede abzuhalten. Wenn Verstorbene nicht Mitglied einer Kirche waren, wird die Beerdigung oft zur reinen Formsache. »So etwas ist schon wirklich sehr traurig«, findet die Pfarrerin. »Wenn jemand in einem Heim stirbt, dann schicken sie manchmal ein paar Mitarbeiter zur Beerdigung.« Aber häufig komme keiner, die Beerdigung laufe ohne Gäste.

»Wenn man dann so ganz alleine auf dem Friedhof steht ... Ich denke, jeder Pfarrer hat sich schon einmal Gedanken darüber gemacht, was man da tun könnte«, sinniert Alves-Christe. In der Dreikönigsgemeinde komme das etwa zwei bis drei Mal im Jahr vor. Für die Pfarrerin immer eine unwürdige Situation. »Ich habe deshalb im Gemeindebrief nachgefragt, ob nicht jemand dazu bereit wäre, mich auf solchen Beerdigungen zu begleiten. Es geht einfach nur darum zu kommen«, erklärt sie. »Vielleicht noch darum, eine Blume ins Grab zu werfen und zusammen das Vaterunser zu beten.«

Sie suchte nach ehrenamtlichen Trauergästen. Für Alves-Christe ist es ein wertvoller Dienst: Menschen, die einsam geworden sind, auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Eine, die ihrem Aufruf folgte, ist Heike Lauer. Ihre Premiere hat sie bereits hinter sich. Für sie sei es besonders, anders, aber auch unfassbar traurig gewesen. »Ich habe tatsächlich ein Gefühl zu einer Person entwickelt, die ich gar nicht kenne«, erinnert sie sich.

Mit einer Mail von Silke Alves-Christes hatte alles angefangen. Der Verstorbene kam aus Frankfurt, hat in einem Heim gelebt. Dazu ein Name und ein Beerdigungstermin. Mehr wusste Lauer nicht, als sie im vergangenen Jahr zur Beerdigung ging. Die Pfarrerin versucht immer, etwas über den Verstorbenen herauszufinden, fragt im Haus oder der Nachbarschaft nach. Meistens aber bleibt die Biografie lückenhaft.

Wir waren alle traurig, ohne den Mann gekannt zu haben

Mit ein paar Blumen aus dem Garten machte sich Heike Lauer auf zur Beerdigung. Sie sei schon auf dem Weg dorthin traurig gewesen. »Warum war der Mann alleine? Was war passiert?«, habe sie sich gefragt. »Dann waren viele Bekannte aus der Gemeinde da. Sie hatten auch ein paar Blumen dabei. Ich weiß noch, dass wir uns alle nahe waren – eine Trauergemeinschaft, ohne, dass wir miteinander verwandt sind. Wir waren alle traurig, ohne den Mann gekannt zu haben.« Die Trauerpredigt habe sie sehr bewegt – so wenig formell, so persönlich. »Hätte es danach noch eine gemeinsame Einkehr in ein Café gegeben, wäre ich mitgegangen«, sagt sie.

Auf dem letzten Weg soll niemand alleine bleiben. Wenn schon zu Lebzeiten niemand für die Person da war, dann doch wenigstens bei der Beerdigung. Diese Ansicht vertreten Heike Lauer und Pfarrerin Alves-Christe. »In meiner Familie ist der Abschied ganz anders. Es waren meistens große Beerdigungen, die ganze Familie saß zusammen«, erzählt Lauer. »Es tröstet, wenn man mit der Familie über den Verstorbenen reden kann«, sagt sie.

Silke Alves-Christe ist es wichtig, die Beerdigung und die Trauerrede so individuell wie möglich zu gestalten. »Ich nenne den Namen, den Geburtsort und alle Daten, die ich über den Verstorbenen habe«, erklärt sie. »Ich überlege dann, was passt. In diesem Fall habe ich mich für einen Text aus dem ersten Korintherbrief entschieden.«

Der Bibeltext nimmt Bezug auf das Unvollkommene, auf das Stückwerk eines Menschen. »Im himmlischen Leben hört das Fragmentarische auf. Ja, vielleicht hatte die Person Probleme und hat sich vielleicht einsam gefühlt. Aber im himmlischen Leben ist das egal, darauf kommt es nicht an«, führt die Pfarrerin ihren Gedanken zu Ende.

Es ist keine leichte Aufgabe, eine Trauerrede zu schreiben, wenn der Verstorbene unbekannt ist. Carmen Berger-Zell von der Diakonie Hessen hat eine Handreichung entworfen zum Thema Bestattung ohne Angehörige für Gemeinden und Einrichtungen. »Wichtig ist, Menschen bei ihrem Namen zu rufen. Das ist persönlich und individuell«, erklärt Berger-Zell. Es gehöre zu den Aufgaben der Pfarrerinnen und Pfarrer, Verstorbene Gott anzuvertrauen. »Sie bringen darin ihre Hoffnung und ihr Vertrauen zum Ausdruck, dass niemand bei Gott vergessen ist.«

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Carmen Berger-Zell

© Neukirchener Verlag

Niemand soll vergessen sein. Bestatten – Gedenken – Erinnern

Carmen Berger-Zell von der Diakonie Hessen beschäftigt sich mit dem Thema »Beerdigung ohne Angehörige« und »Sozialbestattungen«.

Im Praxisbuch »Niemand soll vergessen sein. Bestatten – Gedenken – Erinnern« gibt sie neben Barbara Heuerding Informationen und Tipps für eine würdevolle Beerdigung. Das Buch hat 239 Seiten, ist erschienen im Neukirchener Verlag und kostet 30 Euro. Geeignet für alle, die sich in Kommunen, Kirchen, Hospiz- und Trauergruppen und darüber hinaus mit Bestatten und Erinnern beschäftigen.

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